Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nun verkündet und das Ergebnis ist das auch von mir erwartete:
Ja, aber...
Es wird nun alle möglichen Analysen geben, was das eigentlich heisst. Grundsätzlich wurde aber klar, dass die unabwägbaren Folgen eines "Neins" für das Finanzsystems eine entscheidende Rolle gespielt haben. Das Verfassungsgericht hat also nicht ausschließlich nach den Buchstaben des Grundgesetzes entschieden, wie es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre.
Dadurch wurde der deutsche Rechtsstaat heute "alternativlos" eine deutliches Stück weiter begraben.
Die gute Nachricht ist, dass Bundespräsident Gauck nun trotzdem nicht unmittelbar den ESM ratifizieren kann. Es sind nämlich zwei Dinge sicherzustellen:
- Die Haftung Deutschlands muss völkerrechtlich auf die 190 Milliarden solange begrenzt werden, bis der deutsche Vertreter im ESM diesem zustimmt.
- Der Bundestag/-rat muss informiert werden
Es gibt nun unterschiedliche Möglichkeiten, diese Bedingungen zu implementieren. Der saubere Weg wäre eine Änderung des ESM-Vertrags oder zumindest ein Zusatzprotokoll. Das würde aber eine neue Ratifizierung in allen Euro-Ländern nach sich ziehen und lnage dauern. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass man diese Variante wählen wird. Wahrscheinlich wird es ein Gipfeltreffen geben mit einem entsprechenden "Beschluss". Man wird uns erklären, dass dieser dann die Auflagen des Gerichts erfüllen wird.
Wenn ich die ersten Meldungen über den Beschluss sehe, wird der zweite Teil von Bedingung Nr. 1 gerne übergangen.
Hier der Wortlaut der 2. Bedingung:
"...sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus diesem Vertrag (ESM) der Höhe nach auf die in Anhang 2 der Vertrages genannten Summe in dem Sinne begrenzt, dass keine Vorschrift des Vertrages so ausgelegt werden kann, dass für die Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung des deutschen Vertreters höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden".
Es wird nur die Begrenzung auf 190 Milliarden benannt, nicht aber die Möglichkeit, diese Begrenzung doch auszuhebeln. Aktuell wird somit die "Wahrheit" unter das Volk gebracht, dass der deutsche Anteil am ESM nun unabänderbar begrenzt wurde. Das ist natürlich ein "Spin", der so nicht stimmt.
Wenn der deutsche Vertreter im Gouverneursrat zustimmt, ist diese Grenze nämlich null und nichtig. Wahrscheinlich wird zunächst Dr. Schäuble dort sitzen. Wer kann wirklich glauben, dass im Notfall dann er wieder aufgrund einer "Alternativlosigkeit" diesem nicht zustimmen wird ? Er wird natürlich "zur Rettung des Euros, Europas, der Welt" einer Erhöhung zustimmen.
Normalerweise kann er das nicht ohne im Bundestag vorher die Zustimmung einzuholen. Das ist einer der wenigen positiven Punkte in dem Urteil, wobei ich aber befürchte, dass genau dieses in irgendeiner Weise ausgehebelt werden wird. Genauso die Bedingung Nr. 2, denn dort ist kein Entscheidungsvorbehalt beim Parlament fixiert worden, sondern nur eine Prüfungsmöglichkeit.
Wenn wir wirklich Politiker hätten, die im Interesse Deutschlands handeln würden (und könnten), wären diese Bedingungen zumindest ein Bremsklotz für die uneingeschränkten Automatismen und das jegliche Fehlen einer Tranzparenz der Entscheidungen in den ESM-Gremien.
Unstrittig ist es aber, dass Deutschland nun mit 190 Milliarden in der Verantwortung steht und diese auch zahlen wird. Wenn dann ein "Notfall" eintritt, wird es sehr schnell mehr werden.
Es ist nun zu erwarten, dass sehr eilig versucht werden wird, die Bedingungen so zu erfüllen, dass der ESM von Deutschland sehr zeitnah unterschrieben werden kann. Es gibt völkerrechtlich die Möglichkeit, Vorbehalte bei der Ratifizierung zu formulieren. Eventuell wird es auf diese Weise geschehen.
Wir werden die Medienberichterstattung nun genau verfolgen müssen, inwiefern sie das Urteil als Beruhigungspille für die Bevölkerung verkauft.
Ansonsten würde ich schon sagen, dass wir ab heute in einer neuen Republik leben bzw. spätenstens, wenn Gauck unterschrieben hat. Die Folgen und die Entrechtung durch den ESM werden wir erst mit der Zeit bemerken, aber es wird kommen so sicher wie das Amen in der Kirche.
Eine Hoffnung birgt noch die heutige Wahl in Holland. Wenn die Sozialisten siegen, haben sie eine Volksabstimmung über den ESM angekündigt. Das könnte den ganzen Vorgang doch noch ein Stück weit ausbremsen, aber meine Hoffung hierzu ist nicht allzu gross.